Mehr lesen
Ich bin ehrlich gesagt schockiert, wie der russische Präsident Putin und seine Helfershelfer einen souveränen Nachbarstaat überfallen und nicht nur gegen dessen Soldaten kämpfen, sondern unter völliger Missachtung des Völkerrechts Zivilisten und zivile Einrichtungen rücksichtslos angreifen und wehrlose Frauen, Kinder und Alte brutal exekutieren und ermorden.
Ich hätte nicht gedacht, dass es in einem zivilisierten Europa noch einmal eine solche Bestialität geben könnte. Doch weit gefehlt.
Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen, habe nur die entfernten Nachwehen des 2. Weltkrieges, wie zerstörte Gebäude und Wohnungsnot erfahren und die Spannungen des kalten Krieges erlebt. Doch prägender waren für mich die Friedensbewegung, die Ostermärsche, die Volksinitiative gegen den Nato-Doppelbeschluss, die Annäherung westeuropäischer Staaten an die Staaten des Warschauer Pakt, „Solidarnosc“ und „Glasnost“, das Zusammenbrechen der Mauer und der Zerfall der Sowjetunion.
„Nie wieder Krieg!“ das war die Devise, mit der ich aufgewachsen bin.
Ich dachte, ich sei ein eingefleischter Pazifist, doch muss ich sagen, dass mir die Haltung und die Entschlossenheit der Ukrainer und ihres Präsidenten, den feindlichen Aggressoren zu trotzen, Respekt abverlangt. Ich kann sie verstehen und mein Beten ist ganz auf ihrer Seite.
Es ist richtig, dass wir die Ukraine unterstützen und ihre wehrlosen Flüchtlinge aufnehmen, auch wenn wir dadurch wirtschaftliche Einbußen zu verkraften haben. Doch genauso kann ich die politisch Verantwortlichen verstehen, die keine weitere Eskalation des Krieges durch ein aktives Eingreifen in die Kampfhandlungen riskieren wollen. Ich nehme Angst wahr, zumindest große Sorge, insbesondere bei Menschen, die die Schrecken eines Krieges am eigenen Leib erfahren haben, sei es noch im 2. Weltkrieg, sei es im Balkankrieg, sei es im syrischen Bürgerkrieg. Augenblicklich kommen da wieder Ängste hoch.
„Nie wieder…!“ Hieß es doch in den letzten Jahrzehnten. Und jetzt tobt ein brutaler Krieg vor unserer Haustür.
Wie viel sinnloses Leid, wie viel Tod, wie viel Zerstörung, wie viel unsinnige Vergeudung kostbarer Ressourcen ereignen sich da erneut, als wüssten wir es nicht besser…
Ich dachte ehrlich, wir wären klüger, wir wären schon weiter.
Aber, nein…
Unverständlich bleibt für mich die Haltung des Moskauer Patriarchen Kyrill, der sich hinter Putin und seinen Krieg stellt.
Mit Papst Franziskus schreit es in mir nach Frieden.
Krieg kennt nur Verlierer, sagt er. Das müsste doch auch ein russischer Kirchenmann so sehen und entsprechend auftreten. Als Christen sind wir doch verpflichtet, dem Leben und dem Frieden zu dienen. Aber, nein…
Wo bleibt da die Osterbotschaft? Bleibt sie auf der Strecke?
Zu Ostern gehört auch der Karfreitag. Das vergessen wir allzu leicht. Und Karfreitag hören wir in der Passion Jesu wieder den Dialog zwischen Pilatus und Jesus, in dem Jesus sagt, er sei in die Welt gekommen, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben.
Pilatus fragt darauf nur ein wenig zynisch: „Was ist (schon) Wahrheit?“
Ein Teil der Wahrheit besteht wohl darin, dass Eigennutz, Hass, Habsucht, Machtgier und Menschenverachtung immer noch große Macht unter den Menschen besitzen und Unheil stiften.
Doch der andere, wie ich hoffe, mächtigere Teil der Wahrheit, besteht darin, dass der Sohn Gottes die Folgen all dieser Unheilsmächte in sich aufgenommen und überwunden hat. Und sein erstes Wort nach Tod und Auferstehung war:
„Friede sei mit euch!“
Möge diese Botschaft an Ostern in der Mitte des russischen und des ukrainischen Volkes ankommen: „Friede sei mit euch!“ Und mögen auch wir diese Worte hören,
wenn der Auferstandene sein Wort an uns richtet und sagt: „Friede sei mit Euch!“
Er fordert uns damit unmissverständlich auf, dem Frieden und der Versöhnung zu dienen.
Ihnen allen ein gesegnetes Osterfest!
Br. Rafael OFM